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Auswirkungen von Corona auf das Freiwilligenprogramm

Mit Freiwilligen-Referentin Susann Küster-Karugia sprach am 7. Mai 2020 Antje Lanzendorf, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit.

 

Im Freiwilligenprogramm läuft gerade nichts nach Plan – oder?

Das stimmt. Eigentlich sollten die neuen Süd-Nord-Freiwilligen in der ersten Aprilwoche einreisen. Seit Monaten haben sie sich darauf vorbereitet. Aber aufgrund der Corona-Krise wurden die Botschaften geschlossen und es konnte bei der Visumsbeantragung nicht weiter vorangehen. Alle Anträge wurden den Freiwilligen auf unbestimmte Zeit zurückgegeben und es hieß, dass sie nach der Krise erneut ihre Anträge stellen dürfen. Aber was heißt „nach der Krise“? 

Wie ist der aktuelle Zeitplan?

Die Einreise wurde zunächst auf Juni verschoben, aber leider ist das wohl unrealistisch, weil es schlichtweg noch keine Einreisemöglichkeit gibt, die Visa noch nicht ausgestellt sind und in einigen Einsatzstellen auch ein Einstellungsstopp verhängt wurde. 
Wie momentan in allen Bereichen des Lebens hier und weltweit können wir kaum abschätzen: Wann dürfen Seminare zur Vorbereitung wieder stattfinden? Wann öffnen die Botshaften, damit die Visa beantragt werden können? Wann wird der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen? Können wir davon ausgehen, dass sich die Situation nicht nur hier in Deutschland sondern auch in unseren Partnerkirchen bald wieder beruhigt? Oder ist fest mit einer zweiten Welle im Herbst zu rechnen? Es ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen, wie es weitergeht.

Wie geht es den Freiwilligen?

Wir sind regelmäßig im Kontakt, da spüre ich zwar Unsicherheit und auch Enttäuschung, aber grundsätzlich würde ich sagen, sie halten sich tapfer. Bisher sind sie bereit, die Einreise auch zu einem späteren Zeitpunkt anzutreten. Das schwierige ist, dass wir eben nicht sagen können, für welchen Monat wir die Einreise planen können und wie lange sich die Freiwilligen, die Einsatzstellen und alle anderen Akteure vertrösten lassen. Selbst die Planung von Seminaren und die damit verbundene Buchung von Seminarhäusern und Referentinnen ist so fast unmöglich und auch für mich frustrierend.

Was hat es für Konsequenzen für sie?

Einige von ihnen haben ihre Jobs gekündigt und andere Möglichkeiten, wie Studium oder Ausbildung zunächst verschoben. Das hat gerade in dieser Zeit, auch große finanzielle Auswirkungen auf ihre Familien. Das macht mich sehr traurig, aber auch hilflos. Gern würde ich ihnen dazu raten, erst mal eine Tätigkeit in ihren Herkunftsländern anzutreten. Aber wir können auch nicht davon ausgehen, dass sie sich dann ein zweites Mal auf eine kurzfristige Kündigung ihrer Tätigkeit einlassen und wir dann wieder unsicher sind, ob und wann sie kommen können. Daher bin ich sehr vorsichtig mit konkreten Ansagen und bleibe etwas hoffnungsvoll, dass wir das Programm vielleicht doch noch in diesem Jahr starten können. Aber eine konkrete Entscheidung ist für alle Beteiligten dringend nötig.

Der vorhergehende Jahrgang sollte regulär Ende März verabschiedet werden. Hat das noch geklappt?

Das ist eine längere Geschichte. Wir waren Mitte März gemeinsam mit den Berliner Freiwilligen im Ausreiseseminar, als sich die Situation um Covid-19 täglich verschärfte. Nach und nach machten die Grenzen zu und der internationale Flugverkehr wurde fast stündlich mehr eingeschränkt. Die Ausreise war ursprünglich erst nach zwei Wochen geplant – es standen viele persönliche und auch formale Termine an. Allem voran der Abschied von einem Leben, das sie ein Jahr lang hier lebten. Das Seminar stimmte sie darauf ein und es war spürbar, wie schwierig es allen fällt und diese letzten zwei Wochen fühlten sich dafür viel zu kurz an. Schließlich mussten wir das Seminar abbrechen und eine sehr schwere Entscheidung mitteilen: Die Freiwilligen sollten möglichst schnell nach Hause reisen, bevor es nicht mehr möglich sein würde.

Wie war die Reaktion auf diese Nachricht?

Wut, Traurigkeit, Fassungslosigkeit. Nach wenigen Minuten lagen sich alle weinend in den Armen. Es war herzzerreißend. Allen war klar, dass aufgrund der politischen Entscheidungen in den letzten Tagen es kaum möglich sein würde, all die Menschen in den Einsatzstellen, die mittlerweile teilweise bereits geschlossen waren, zu verabschieden. An jenem Samstag fuhren alle traurig nach Hause.

Wie ging es weiter?

Von unterwegs informierte ich alle Einsatzstellen sowie die Mentorinnen und Mentoren. Ich bin unglaublich dankbar, wie viel Unterstützung und Zuspruch wir in dieser Zeit hatten. Die Freiwilligen bekamen ganz viel Hilfe beim Packen und Besorgen von Dingen. 
Jael Reiß, die am darauf folgenden Montag ihr Praktikum inmitten der Corona-Krisensitzungen im LMW und dieses abrupten Abbruchs begann, war ein Segen. Sie half den Leipziger Freiwilligen bei der Kontoauflösung und der Abmeldung im Bürgeramt, bereitete kurzfristig Geschenke vor und half bei Unterlagen.Evelin Michalczyk war zusammen mit den Reisebüros unermüdlich dabei, Flüge zu suchen, weil auch diese sich stets änderten oder gecancelt wurden. Es war eine sehr aufreibende Zeit.
Schließlich war fast sicher, dass alle Freiwilligen, am Dienstag, dem 17. März, abfliegen würden. Das war für alle drei Zielländer scheinbar die einzige Möglichkeit, weil sämtliche Länder, in denen sie hätten umsteigen müssen, bereits ihre Grenzen schlossen. Auch Indien kündigte für Donnerstagmittag an, keine Einreisen aus Europa mehr zuzulassen.
Das war nicht nur für meine Nerven, sondern vor allem für die Freiwilligen nicht auszuhalten. Schließlich wurde am Montagabend schon der Flug nach Papua-Neuguinea abgesagt und es war klar: Wir werden vorerst keine Reisemöglichkeit auftun können. Obwohl alle Koffer gepackt waren, konnte es also auf unbestimmte Zeit nicht losgehen. So verabschiedete Joshua seinen tansanischen Mitbewohner Lunyamadzo in Dresden. Rahael fuhr mit den tansanischen Freiwilligen mit nach Berlin, um sie dort zu verabschieden. Und die beiden indischen Freiwilligen, Kiran und Mercy, wurden von unserem Direktor nach Frankfurt am Main zum Flughafen begleitet. 
Der Flug nach Tansania führte über Ägypten. Am Flughafen in Berlin Schönefeld war eine seltsame Stimmung. Eigentlich war nicht so viel los wie sonst und trotzdem war es laut und unruhig. Es wurde teilweise gestritten und laut verhandelt. Die Flughafenangestellten wirkten gestresst. Später sagte uns eine der Angestellten dort, dass dieser Flug nach Kairo der letzte sei, dann würde der Flughafen seinen internationalen Flugverkehr einstellen. 
Der Flug startete mit fast zwei Stunden Verspätung. In dieser Zeit waren wir in ständigen telefonischen Kontakt mit den Freiwilligen, die bereits im Flugzeug saßen. Ich rechnete jede Minute damit, dass sie noch den Flug absagen. Aber schließlich ging es los. Auch in Kairo war es hektisch, aber wegen der Verspätung wurden die vier Freiwilligen mit einem Extratransport zum nächsten Flieger gefahren und erreichten so ihren Anschluss rechtzeitig. In Tansania kamen sie dann gut an. Dort gab es keine Kontrollen bei der Einreise. Dennoch begaben sich alle vier für 14 Tage in Selbstquarantäne, damit sie ihre Familien nicht etwa ansteckten, sollten sie sich in den Tagen vor oder während der Reise infiziert haben.

Die beiden Inderinnen konnten auch fliegen?

Als ich am Abend den Mietwagen wieder in die Station brachte, rief Direktor Salooja an: Der Flug nach Indien wurde kurz vor Abflug abgesagt. Wir haben darüber beraten, ob man eventuell noch einen weiteren Flug buchen sollte, aber schnell wurde uns klar: Kein Flug schafft es mehr, die beiden vor der Einreisesperre, die Indien kurzer Hand verhängt hatte, zu landen. Und die Gefahr war zu groß, dass die beiden irgendwo anders stranden und dann gar nicht mehr zurückkommen könnten. Schließlich entschieden wir, dass sie zurück nach Leipzig fahren.

Was machen die vier Freiwilligen jetzt?

Am nächsten Morgen frühstückten wir, die Zurückgebliebenen, zusammen und versuchten einzuschätzen, wie die nächsten Tage, Wochen oder vielleicht Monate wohl werden könnten. Die Einsatzstellen waren sofort bereit, die Freiwilligen weiter zu beschäftigen. Auch die Visa wurden problemlos verlängert, die Abmeldung in den Bürgerämtern wieder rückgängig gemacht und auch die Zimmer standen sofort wieder weiter zur Verfügung. Für alle diese unkomplizierte Kooperation bin ich so dankbar.

Wie haltet ihr Kontakt miteinander?

Wir treffen uns jeden Montag virtuell in einem Konferenzraum und tauschen uns aus. Es ist natürlich nicht vergleichbar mit einem richtigen Treffen, aber es hilft uns, nah beieinander zu bleiben. Es wird viel geredet, manchmal gesugen und musiziert und jedes Mal auch gebetet. Hin und wieder kommen auch Freiwillige der anderen Missionswerke dazu. 

Die Freiwilligen in Tansania wurden zurückgerufen. Wie haben sie die Entscheidung aufgenommen?

Das war auch sehr dramatisch und lief quasi parallel zu den Szenen, die ich oben beschrieben habe. Am besagten Krisensitzungsmontag im LMW besprachen wir gerade die Situation der Freiwilligen in Tansania als die Nachricht aus dem BMZ kam, dass alle sich im Ausland befindlichen Freiwilligen schnellstmöglich zurück nach Deutschland geholt werden sollen. 
Sofort nahm Kerstin Berger Kontakt zum Reisebüro auf und fand raus, wann die nächste (und letzte) Reisemöglichkeit sein sollte: Freitag, den 20. März. Laut unserer Einschätzung war das auch halbwegs realistisch umsetzbar – waren doch die Freiwilligen teilweise zwei Tagesreisen vom internationalen Flughafen in Dar es Salaam entfernt. 
Ich ahnte wie sich diese Nachricht der unmittelbaren Unterbrechung des Freiwilligendienstes anfühlen wird, hatte ich doch den letzten Samstag noch nicht verdaut. Telefonisch versuchte ich dann alle Freiwilligen einzeln zu informieren. Manche begannen zu weinen, manche zu schimpfen, andere diskutierten oder wieder andere nahmen es relativ ruhig auf. Ich versuchte, es nicht an mich heranzulassen. Aber auch mich berührte es stark: die Freiwilligen sollten noch fast ein halbes Jahr in Tansania verbringen! Jetzt kurz nach der Halbzeit ohne jede Vorwarnung abzubrechen – das ist doch Horror! Und gleichzeitig haben wir Verantwortung für diese Menschen und ihre Familien, dachte ich. 
Gleich danach informierte ich die Einsatzstellen. Auch sie waren geschockt. Aber die verstanden diese Entscheidung und unterstützten die Freiwilligen beim Packen und Besorgen der Bustickets. Das war eine enorme Herausforderung, weil zeitgleich alle Schulen in Tansania schlossen und alle, wirklich alle Schüler*innen aus den Orten der Schulen wieder in ihre Regionen nachhause reisten, was teilweise überregional passiert. Aus diesem Grund und auch weil die Freiwilligen bereits erste Diskriminierungserfahrungen machten (kommen sie doch scheinbar offensichtlich aus einem Corona-Hochrisikogebiet Europa), entschieden unsere Partner in Tandala dankenswerterweise, dass sie die Freiwilligen bis zum Flughafen nach Dar es Salaam fahren und unterwegs auch die anderen sich im Süden Tansanias befindlichen Freiwilligen mitzunehmen.
Am Freitag ging dann der Flug über Istanbul. Und es klappte alles wie geplant. In Deutschland organisierten sich die Eltern, um die Freiwilligen nur mit wenigen PKW vom Flughafen in Berlin abzuholen.

Und was machen die Freiwilligen jetzt?

Alle sind sicher und gesund gelandet – wenn auch nicht unbedingt glücklich und zufrieden. Immer wieder höre ich: warum wir? Warum ausgerechnet jetzt? Und was sollen wir hier, wo es Kontaktsperre gibt und wir in unseren Zimmern versauern?
Das verstehe ich sehr gut. Auch für viele viele andere ist diese Situation hier in Deutschland gerade sehr herausfordernd. Und wenn man dann von einem Ort quasi weggeholt wird, der vermeintlich Corona-sicher(er) war, dann versteht man gar nicht, was man hier soll.
Wie auch in anderen Jahrgängen rate ich nach der Rückkehr oft dazu, erst mal eine Routine zu finden. Dabei hilft es meist, eine Aufgabe zu finden, ein Praktikum oder einen Job und wenn möglich dann  gleich die Ausbildung oder das Studium zu beginnen. Aber das war in dieser Situation schwierig – überall gab es Einstellungsstopp und auch bei uns im Missionswerk waren viele im Homeoffice – wie soll man da gut jemanden ins Praktikum einladen? Dieses Zuhausesein ist nach der Rückkehr auch ohne Corona so eine große Herausforderung. Nun gab es all diese neuen Regeln, die dazu im krassen Gegensatz zum Alltag in Tansania standen – kein Händeschütteln, keine Umarmung, nicht mal ein Treffen und Gespräche mit Freunden, keine Gottesdienste usw.
Glücklicherweise gab es für fast alle Zurückgekehrten doch noch Möglichkeiten. Lena arbeitet ehreamtlich in einem Hospiz in Cottbus mit, Tilman, Tabea und Frauke sind in den Weißiger Werkstätten, Johanne beginnt ein Prakikum an einer Grundschule und Katharina unterstützt uns im LMW. Vincent bereitet sich auch auf ein Praktikum vor und Rebekka unterstützt die Kinder- und Jugendarbeit in Plauen, sobald die wieder loslegt.
Darüber sind wir sehr froh, denn diese abrupte Rückkehr hinterlässt nicht nur die Sehnsucht zu anderen Menschen an einem anderen Ort sondern lässt auch etwas nicht abgeschlossen. Einige der Freiwilligen konnten sich nicht mal verabschieden in ihren Einsatzstellen. Das ist wie ein Trauerfall, den es zu bewältigen geht. 
Für den neuen Jahrgang ist es sicher auch eine schwierige Situation. Gibt es da schon Überlegungen, wie es werden wird?
Auch hier stellen sich die Fragen gleichermaßen wie in Süd-Nord: es geht vor allem darum, ob wir es verantworten und auch praktisch organisieren können, die Freiwilligen im Herbst nach Indien und Tansania entsenden zu können. Wir arbeiten momentan daran, dass wir diese Frage beantworten können.  

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