Das Missionswerk der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

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Mission und Kolonialismus

glaubwürdig? Mission postkolonial

Drei Jahre haben wir uns von 2021 bis 2023 mit dem Thema „glaubwürdig? Mission postkolonial“ befasst. Es waren drei spannende und intensive Jahre mit schmerzhaften aber wertvollen Erkenntnissen. Was bleibt? In der 2021 veröffentlichten Thesenreihe zum Jahresthema „glaubwürdig? Mission postkolonial” erklärten wir, „Beiträge zur Überwindung vorhandener kolonialer Strukturen und Haltungen“ leisten zu wollen. Dieses Ziel ist mit dem Jahresthema keineswegs beendet. Neben der Fortsetzung unserer entwicklungspolitischen Bildungs- und Advocacyarbeit ist ein konkretes Ergebnis die Gründung des Ökumenischen Arbeitskreises „Postkoloniale Perspektiven in der kirchlichen Bildungsarbeit“ im November 2022. Im Nachgang eines Netzwerktreffens der Initiative „Sachsen postkolonial“ war die Idee entstanden, die Bemühungen um eine verstärkte postkoloniale Perspektive in der Kirche ökumenisch voranzutreiben. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche sind heute gefordert, sich mit ihrer Geschichte und der damit verbundenen Ambivalenz auseinanderzusetzen. Auf Initiative des Leipziger Missionswerkes und der Stiftung Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal (IBZ) wurden Akteurinnen und Akteure aus der kirchlichen Bildungsarbeit in Sachsen eingeladen, das Globale Lernen in postkolonialer Perspektive, das heißt unter Berücksichtigung des kolonialen Erbes sowie der auch heute noch in der kirchlichen Partnerschaftsarbeit teilweise stattfindenden Fortsetzungen kolonialer Strukturen, in ihren jeweiligen Arbeitszusammenhängen zu stärken. Gemeinsam diskutieren wir unter anderem über Begrifflichkeiten, beraten über Zugangswege zu einzelnen Zielgruppen, identifizieren Inhalte von Veranstaltungen mit und in den Gemeinden und tauschen uns über gruppengerechte Methoden der Vermittlungs- und Bildungsarbeit aus.

Ein weiteres Thema, das uns weiter beschäftigen wird, ist der bestehende Rassismus in unserer Gesellschaft. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte hat uns schmerzlich bewusst gemacht, wie rassistisch die Haltung der Missionare und Missionarinnen war und wie prägend der Einfluss der Mission, vor allem auch mit den verschiedenen Publikationen, auf das Menschenbild der damaligen Zeit war. Bis heute stecken rassistische Stereotype tief in uns drin. Das müssen auch die Freiwilligen aus unseren Partnerkirchen leider immer wieder erfahren. Ihre rassistischen Alltagserfahrungen sind erschreckend. Dass überhaupt darüber nachgedacht werden muss, in welche Regionen Mitteldeutschlands wir Freiwillige schicken können, ist auch ein koloniales Erbe, das es aufzuarbeiten gilt. Wir freuen uns, dass unsere Online-Werkstatt eine Fortsetzung durch die Plattform "Kirche und Rassismus" der sächsischen Landeskirche unter dem Titel "Lasst uns darüber reden" findet: (fast) jeden letzten Donnerstag im Monat, 18 Uhr.

Eine wichtige Lehre der drei Jahre ist, wie notwendig es ist, die Fotos, Bücher und Berichte der Mitarbeitenden aus der Kolonialzeit auch den Menschen in unseren Partnerkirchen zugänglich zu machen. Das bedeutet, sie zu digitalisieren, zu übersetzen und online zu veröffentlichen. Das koloniale Erbe der Bibliotheken und Archive rückt immer mehr in den Fokus. Bislang ging es vordergründig um eine Aufarbeitung der ethnologischen Sammlungen. Das schriftliche Erbe ist für unsere tansanischen Partner jedoch ungleich relevanter, weil es darin um sie selbst, um ihre Kultur und Geschichte geht. Hier sehen wir einen zentralen Punkt für einen glaubwürdigen Umgang mit unserer gemeinsamen Vergangenheit.

Eine Lernerfahrung aus der Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ist: Es stehen nicht mehr länger unsere Perspektiven im Vordergrund. Sich gegenseitig wahrnehmen, sich zu Wort kommen lassen, andere Sichtweisen aushalten, sich zu helfen, wo es nötig und gewollt ist – darum geht es bei einer guten Partnerschaft, auf der ganz persönlichen genauso wie auf der weltkirchlichen Ebene.

 

"Dienet dem Reich Gottes, nicht dem deutschen Reich" - mit diesen Worten entsandte Missionsdirektor Karl v. Schwartz 1893 die ersten Leipziger Missionare zum Kilimanjaro in die Kolonie Deutsch-Ostafrika. Damit beginnt das Kapitel kolonialmissionarischer Tätigkeit Leipzigs.

Die Leipziger Mission war mit ihrer Arbeit in Südaustralien und Indien von Beginn an in kolonialen Kontexten tätig. Allerdings war das Kolonialregime immer anderer Nationalität gewesen, was z.B. die Tätigkeit der Missionare in Australien in besonderer Weise beschwerte, insofern als deren spezifische Schularbeit mit Angehörigen der Gemeinschaften der Kaurna und Ngarrindjerri den kolonialen Machthabern nicht gelegen kam.

Bereits seit 1881 drängte der fränkische Pfarrer Matthias Ittameier die Leipziger Mission zur Aufnahme der Ostafrika-Mission und gründete, weil Leipzig zögerte, die eigene Hersbrucker Wakamba-Mission. In den Argumenten der Leipziger Missionsleitung spielen Überlegungen eine Rolle, ob nicht das religiöse Motiv bei einer zu großen Nähe zum Kolonialregime Schaden nähme, und ob nicht die Tätigkeit in einem deutsch-kolonialen Kontext der Internationalität der Leipziger Arbeit abträglich sein. Die Entscheidung für die Aufnahme der Arbeit in Deutsch-Ostafrika 1892 ist dann durch den Wechsel im Direktorat von Julius Hardeland zu Karl v. Schwartz 1891 initiiert. Wie allerdings der Fortgang der Geschichte zeigt, war es entgegen dem Aussendungswort von v. Schwartz überhaupt nicht zu vermeiden, in die Macht- und Gewaltstrukturen des Kolonialismus verwickelt zu werden: Den Tod der beiden Leipziger Missionare Ewald Ovir und Karl Segebrock 1896 am Meru nimmt die deutsche Kolonialverwaltung zum Anlass einer "Strafexpedition" gegen die Arusha und Meru, durch die viele Männer getötet, die Frauen umgesiedelt, das Vieh konfisziert, Bananenhaine niedergebrannt und anschließend große Ländereien an Siedler aus dem Südlichen Afrika vergeben werden. Nachfolgend wird an der Handelssiedlung Arusha ein deutsches Militärlager errichtet, das den Grundstein für die heutige Stadt Arusha legt.

Die Leipziger Missionsarbeit am Kilimanjaro und den umliegenden Gebieten ist also in den Kolonialismus mehr als verwickelt. Folgt man den Untersuchungen des Theologen R.S. Sugirtharajah1), so ist die Missionsbewegung des 18./19. Jahrhunderts als ganzes ein geistiges Kind des Kolonialismus, da die grundlegende Bibelstelle - der Missionsauftrag nach Matthäus 28, 18-20 - überhaupt erst in dieser Zeit als Begründung für die Ausbreitungsbewegung der Kirche verwendet wird. Unter dieser Vorgabe muss die gesamte Arbeit der Leipziger Mission mit ihren Motiven, ihrem Handeln und ihren Folgen kritisch unter die Lupe genommen werden.

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1) R. S. Sugirtharajah,  Eine postkoloniale Untersuchung von Kollusion und Konstruktion in biblischer Interpretation, in: Nehring/Tielesch (2013), Postkoloniale Theologien, S. 123-144.

 

Historische Stimmen aus der Leipziger Mission

Sie möchten wissen, wie frühere Generationen der Leipziger Mission über den Kolonialismus gedacht haben? Lesen Sie hier Aussagen von Direktor Carl Paul.

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