Tansania hat es in den vergangenen Jahrzehnten geschafft, eine solide Hilfsstruktur für Menschen mit HIV/AIDS aufzubauen. Damit hatten die allermeisten Infizierten eine reelle Chance auf ein normales Leben, sofern die Krankheit früh genug erkannt wurde und die Medikamente regelmäßig eingenommen wurden.
Mit der Entscheidung des neuen US-Präsidenten Donald Trump, alle Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe für 90 Tage einzufrieren, fehlen in Tansania plötzlich 450 Millionen US-Dollar zur Finanzierung von antiretroviralen Medikamenten und begleitenden Gesundheitsmaßnahmen. Die Patientinnen und Patienten sollen die Medikamente, sofern sie überhaupt noch verfügbar sind, nun selbst bezahlen – für viele eine Ausgabe, die sie sich nicht leisten können. Ohne Behandlungsmöglichkeiten droht der Zusammenbruch der bisherigen Erfolge im Kampf gegen HIV/AIDS.
Dramatische Folgen für HIV-Patient*innen in Tansania
„Für viele Menschen in Tansania ist der Stopp der finanziellen Hilfsmittel zur Bekämpfung von HIV/AIDS durch die US-Regierung eine Katastrophe“, so Daniel Keiling, Tansania-Referent im Leipziger Missionswerk. „Von Gesundheitseinrichtungen unserer Partnerkirche erreichen uns Nachrichten über die ganz konkreten Auswirkungen dieser plötzlich fehlenden Hilfe. Etwa 1,5 Millionen Menschen in Tansania, die HIV-positiv getestet sind, konnten bis vor kurzem ein vergleichsweise normales Leben führen, weil ihnen kostenlos eine Behandlung mit antiretroviralen Medikamenten ermöglicht worden war. Die Lebensperspektive dieser Menschen und ihrer Angehörigen steht nun in unmittelbarer Gefahr.“
Dr. Peter Hellmold, Arzt am Lutherischen Krankenhaus in Lugala, mit dem auch das Leipziger Missionswerk und Partnerschaftsgruppen in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sind, hat den Ausbruch der HIV/AIDS-Pandemie in den 1980er Jahren in Kagera im Westen Tansanias erlebt. In seinem aktuellen Rundbrief erinnert er sich: „Ganze Dörfer waren ausgestorben. Ein apokalyptisches Szenario, ein Armageddon im Sinne der ‚Geheimen Offenbarung des Heiligen Johannes‘.“
Eine Wende brachte das Programm PEPFAR (‚US President’s Emergency Plan For AIDS Relief‘), das US-Präsident George W. Bush 2003 auf den Weg brachte. Mit den bislang 110 Milliarden US-Dollar wurden weltweit mehr als 26 Millionen Menschenleben gerettet und Millionen weiterer HIV-Infektionen verhütet. In Tansania war es Dank PEPFAR möglich, die Zahl der AIDS-Toten um 80 Prozent und die der Neuinfektionen um 60 Prozent zu senken.
PEPFAR hat Pandemie unter Kontrolle gebracht
„Die PEPFAR-Initiative hat dazu beigetragen, dass mehr als 50 arme Länder weltweit die Pandemie unter Kontrolle bringen konnten.“, so Dr. Peter Hellmold. Am 20. Januar 2025 wurde das Programm mit einer Exekutivverordnung Trumps über Nacht eingestellt.
Auch die HIV/AIDS-Klinik in Lugala, die seit 2005 Schritt für Schritt etabliert wurde und seit Jahren eine hervorragende Arbeit leistet, steht nun vor Herausforderungen. Peter Hellond macht den Bezug zu Trumps aktueller Entscheidung klar: „Voraussetzung für eine effektive HIV-AIDS-Kontrolle ist die Logistik der Versorgung mit Medikamenten, die PEPFAR, auch nach George W Bush sichergestellt hat. Dieses geschah unter der Ägide von ‚USAID (Unites States Agency for International Development)‘, einst gegründet von John F Kennedy. USAID war bis vor wenigen Tagen in über 100 Ländern aktiv und es war die größte Organisation ihrer Art.“
Die Auswirkungen sind bereits jetzt spürbar. Hellmold berichtet von einer langjährig infizierten Frau, der es gesundheitlich bestens geht und die ein aktives Leben führt. Als sie ihre Dreimonatsration von 90 Tabletten abholen wollte, bekam sie noch ganze sieben.
Besonders schlimm ist es für die schwangeren Frauen, die bislang mit Medikamenten versorgt worden, um eine Übertragung des HI-Virus auf das Neugeborene zu verhindern. Für alle Kinder, die in den kommenden drei Monaten ohne den entsprechenden Schutz zur Welt kommen, bedeutet dies ein enormes Gesundheitsrisiko von Anfang an.
Tilman Rüppel, Vorstandsmitglied beim Aktionsbündnis gegen Aids, dessen Mitträger das Leipziger Missionswerk ist, erklärt in einem auf der Internetseite der Organisation veröffentlichten Interview: „Die WHO und UNAIDS warnen, dass die aktuellen Entscheidungen der Trump-Regierung Jahrzehnte der Fortschritte in der HIV-Arbeit zunichtemachen könnten. Ein dreimonatiges Aussetzen der Therapie kann zu irreversiblen Schäden führen. Der weltweite Kampf gegen HIV/AIDS und andere gravierende Infektionskrankheiten benötigt dringend eine langfristig sichere Finanzierung sowie dafür geeignete staatliche Behörden und Programme“.
Forderungen nach Rücknahme des Finanzierungsstopps
Gemeinsam mit Medmissio, Misereor und der Deutschen Aidshilfe fordert das Aktionsbündnis gegen Aids die sofortige Rücknahme des Finanzierungsstopps, die uneingeschränkte Fortführung von PEPFAR und anderen lebenswichtigen Gesundheitsprogrammen, sowie die Wiederherstellung von USAID. „Die internationale Gemeinschaft muss geschlossen gegen diesen fatalen Kurs der US-Regierung protestieren. Leben dürfen nicht zum Spielball politischer Entscheidungen werden“, betont Ellen Schmitt, Gesundheitsreferentin bei Misereor in einer Pressemitteilung.
Auch die Schwesterorganisation des LMW, das Deutsche Institut für ärztliche Mission DIfÄM ruft gemeinsam mit VENRO, dem Dachverband der entwicklungspolitischen und humanitären Nichtregierungsorganisationen, und zahlreichen Akteuren zum gemeinsamen Handeln der internationalen Gemeinschaft auf und warnt vor unabsehbaren Folgen für das globale humanitäre System.
„Hier kommt gerade ein komplettes System zum Erliegen, das Menschen in Krisen- und Katastrophenregionen ihr Überleben sichert“, sagt Michael Herbst, VENRO-Vorstandsvorsitzender. „Wir, die reichen Geberländer, müssen jetzt schnell handeln, um die schon jetzt katastrophalen Folgen wenigstens dort, wo akut Menschenleben bedroht sind, abzufangen.“ Auch die Bundesregierung müsse deshalb nun Sondermittel für die Humanitäre Hilfe und die Krisenbewältigung zur Verfügung stellen und dafür eine europäische Allianz bilden.
„Wenn es nicht eine entscheidende Kehrtwende in den nächsten Wochen geben sollte“, ist sich Dr. Hellmold sicher, „werden hunderttausende Menschen, die mit dem HI-Virus leben, schwer krank werden und sterben. […] Darüber hinaus wird es ohne ARVs auch wieder ungezählte Menschen mit einer hohen Viruslast und somit hoher Infektiosität geben, die Viren werden sich, vergleichbar mit der Anfangszeit der Pandemie, unkontrolliert in der Bevölkerung ausbreiten. […] Es besteht die reale Gefahr, dass wir in vergleichbare Verhältnisse wie am Anfang der Pandemie zurückgeworfen werden.
Antje Lanzendorf
Quellen
Rundbrief Dr. Peter Hellmold, Lugala
Interview mit Tilman Rüppel: https://www.aids-kampagne.de/aktuelles/2025-02-07-interview-mit-tilman-rueppel
Pressemitteilung Aktionsbündnis gegen Aids: https://www.aids-kampagne.de/presse/pressemitteilungen/2025-02-05-kahlschlag-der-globalen-gesundheitsversorgung
Pressemitteilung DIfÄM: https://difaem.de/ansicht/us-entwicklungsleistungen-gestoppt-deutschland-muss-verantwortung-uebernehmen.html